Sieg der Sterne
出处: Die Zeit
Im Mai 1998 fusionierten Daimler und Chrysler. Beide Konzerne bereiteten ihre Mitarbeiter auf einen Kulturkampf vor. Und trotzdem ließ er sich nicht vermeiden. Die Analyse einer schwierigen Partnerschaft
Die Daimler-Chrysler-Fusion erinnert in vielem an die Hochzeit von Prinz Charles und Lady Diana - nur dass in diesem Fall zwei Kutschen heirateten. Eine elitäre Nobelmarke aus uraltem deutschem Autoadel hielt um die Hand einer schönen Braut aus der Neuen Welt an und wurde erhört. Es war eine Märchenhochzeit - eine »Hochzeit im Himmel« nannte sie der Daimler-Chef Jürgen Schrempp im Mai 1998 -, und die Trauzeugen - Wall Street, seine Analysten und auch Hauptaktionäre wie der Milliardär Kirk Kerkorian - waren begeistert. Prompt stieg die DaimlerChrysler-Aktie kurz nach ihrem Börsengang am 11. November 1998 auf den Traumwert von 108,62 Dollar.
Bei der Bilanz-Pressekonferenz am 26. Februar 2001 hatte sich das Traumpaar erstaunlich verändert. Die amerikanische Braut schien verschwunden zu sein. Genauer gesagt, aus ihr war ein Deutscher mit Glatze und Schnauzbart geworden: Chief Exekutive Officer Dieter Zetsche - ein Name, der Amerikaner, wenn überhaupt an etwas Anglophones, eher an Frau Thatcher denn an Lady Diana erinnert. Zwar wurde am Vorstandstisch tapfer Englisch gesprochen, aber durchwegs mit deutschem Akzent. Der deutsche Partner zeigte sich bei dieser Vorstellung immer noch in strahlendem Licht; über Chrysler jedoch gab es Katastrophenmeldungen. »Es gibt nichts zu beschönigen«, sagte Jürgen Schrempp, inzwischen der alleinige Vorstandschef von DaimlerChrysler, »die Situation in den USA hat sich dramatisch verschlechtert.«
Wall Street zeigte sich nicht übermäßig beeindruckt vom Sanierungsplan der Deutschen. Die DaimlerChrysler-Aktie pendelte sich nach einem Tief von 37,75 Dollar im Dezember 2000 bei einem Wert um 50 Dollar ein. Seit der Fusion hatte sich der Aktienwert des drittgrößten Autokonzerns der Welt mehr als halbiert und betrug weniger, als Daimler ohne Chrysler wert gewesen war. Was war geschehen?
In der Zoologie der wirtschaftlichen Organisationsformen gehören die transnationalen Zusammenschlüsse zu den faszinierendsten Lebewesen. Auf der einen Seite sind sie robuste, computergenerierte Riesentiere, deren Knochen und Gelenke sich aus Tausenden von Wirtschaftsdaten, Börsennotierungen und Absatzprognosen wunderbar logisch zusammensetzen. Andererseits gleichen sie unbeständigen Wetterformationen, die unberechenbaren Turbulenzen unterworfen sind. Das Problem spitzt sich noch gewaltig zu, wenn es sich um den Zusammenschluss von zwei Autokonzernen handelt. Autos sind hoch symbolische und emotional besetzte Produkte. Im emotionalen Haushalt einer motorisierten Durchschnittsfamilie kommen Autos dicht nach den Kindern und im Zweifelsfall vor den Haustieren.
Das Walter P. Chrysler Museum liegt am südöstlichen Ende des Chrysler-Geländes. Als ich mich dort umsah, blieb ich am längsten vor dem legendären Willy-Jeep stehen, mit dem die US Armee in Deutschland eingefahren war. Im Chrysler-Museum genießt dieser Jeep den Status einer Reliquie. Er steht in einer liebevoll nachgestellten Kriegskulisse - verkohlte Bretter, einstürzende Fassaden, hohle Fenster. Neben dem Jeep sind zwei lebensgroße, in Plastik gegossene amerikanische Soldaten zu sehen, die eine Landkarte studieren. »The Jeep«, so der Begleittext, »became and remains a symbol of liberation and a triumph over adversity.«
Wie war es dazu gekommen, dass die Erben des Willy-Jeep und die jenes Mercedes-Cabriolets, das »der Führer« fuhr, ein Paar geworden waren? Die entscheidende Begegnung, die dann zur Fusion führte, soll genau 17 Minuten gedauert haben. Nach den Autoren Bill Vlasic und Bradley A. Stertz (Taking for a ride) haben wir uns die historische Zusammenkunft ungefähr so vorzustellen: Im Chefzimmer des Chrysler-Hauptquartiers treffen sich am 12. Januar 1998 zwei Autokönige: Bob Eaton und Jürgen Schrempp. Es ist nichts geplant, nur ein Gedankenaustausch. Schrempp, der Ruhelosere, Drängendere von den beiden, springt vom Sofa auf und bringt das Gespräch auf die Frage einer Fusion, bevor der andere ihm auch nur eine Tasse Kaffee eingeschenkt hat; Bob Eaton, der Rätselhaftere, aber auch der Passivere von den beiden, hört nur zu; aber er scheint von Schrempps Ansinnen keineswegs überrascht zu sein. Er bittet sich eine Woche Bedenkzeit aus, er werde sich melden. Er tat es eine Woche später. Aber er nannte eine »nicht verhandelbare« Bedingung für das Zusammengehen: Es sollte ein Zusammenschluss unter Gleichen sein; der Aufsichtsrat der neuen Firma müsse aus Führungskräften beider Firmen zusammengesetzt sein. Schrempp, so steht es bei Vlasic und Stertz, soll darauf geantwortet haben: »Natürlich werden wir gleiche Partner sein.«
Diese Zusage war von den Fachleuten von Anfang an skeptisch beurteilt worden. Wenn zwei Firmen sich zusammentun, von denen die eine 57 Prozent, die andere 43 Prozent des Börsenwertes auf die Waage bringt, dann ist unter Brüdern klar, wer den Ton angibt. Schon vor der Hochzeit waren denn auch Befürchtungen über eine »Germanisierung«, beziehungsweise eine »Machtübernahme« durch die Deutschen laut geworden.
»New World Order? Chrysler might merge with Daimler-Benz - or be taken over«, titelte das Wallstreet Journal ahnungsvoll am 6. Mai 1998 - und schien Recht zu behalten. Nicht nur im Firmenlogo, sondern auch in allen anderen Bereichen kam Daimler vor Chrysler. Und was war mit dem versprochenen »Merger of equals«? Als die Financial Times diese Frage am 30. Oktober 2000 an Jürgen Schrempp richtete, gab er eine schwungvolle Antwort. Er habe nie etwas anderes im Sinn gehabt als die jetzige Struktur des Unternehmens, sagte Schrempp, »wir mussten diesen Umweg machen, aus psychologischen Gründen. Wenn ich hingegangen wäre und gesagt hätte, Chrysler würde eine Abteilung von Daimler werden, hätte jeder von der amerikanischen Seite gesagt: Auf keinen Fall lassen wir uns darauf ein. Aber es war genau das, was ich wollte.« Dieses fantastisch undiplomatische Geständnis brachte Schrempp und dem Konzern nicht nur einen Aufstand in der amerikanischen Presse, sondern auch eine Klage des Chrysler-Großaktionärs Kirk Kerkorian auf acht Milliarden Dollar ein. »Den schwierigsten Part beim Aufstellen der Klageschrift«, sagte dessen Anwalt, Terry Christensen, dem Wallstreet Journal, »hat uns Herr Schrempp freiwillig auf dem Tablett serviert. Er sagte nicht nur, dass er log, sondern auch, warum.«
Zu Beginn der Fusion, solange der Kurs der Aktie stieg, hatte sich die Presse mit Erinnerungen an die »evil Germans« zurückgehalten. Eine Karikatur, die Jürgen Schrempp als Hitler zeigte, blieb eher eine Ausnahme. Das änderte sich dramatisch, als es mit Chrysler abwärts ging. Insgesamt setzte sich in einem guten Teil der amerikanischen Öffentlichkeit der Eindruck durch, dass die Daimler-Deutschen Chrysler - entgegen allen Versprechungen - erst übernommen und dann, mit ihrer Arroganz und ihrem teutonischen Ungeschick, an die Wand gefahren hatten. Es war ein Eindruck, der in verblüffender Weise dem Bild glich, das die Ostdeutschen ein paar Jahre nach der Vereinigung von den Westdeutschen gewonnen hatten - wobei die Amerikaner, um im Bild zu bleiben, sich in der Rolle der Underdogs aus der DDR sahen.
Aber dann passierte im Frühjahr 2001 etwas Merkwürdiges. Inzwischen hatten Journalisten die Chrysler-Zahlen untersucht und herausgefunden, dass die Deutschen nicht gerade ein blühendes Unternehmen gekauft hatten. Die Firma produzierte zu teuer, brachte zu wenig Neues auf den Markt, überfrachtete ihre Autos mit teurer Elektronik und wurde sie angesichts der Konkurrenz von Honda, Toyota und VW, die gleiche oder besser ausgestattete Produkte zu niedrigeren Preisen anbot, nicht an die Kunden los. Sonderaktionen und Preisnachlässe bis zu 4000 Dollar pro Auto führten das Defizit von Chrysler in schwindelerregende Höhen, die Chryslers Barreserven binnen Monaten auffraßen.
Von Detroit, vom Zentrum der Empörung ausgehend, nahm ein Meinungsumschwung seinen Lauf. »Die Stimmung hat sich umgedreht«, meint Paul Krell, ein Sprecher der Autogewerkschaft UAW (United Auto Workers): »Die Frage nach den evil Germans verwandelt sich in die nach dem Management von Bob Eaton und den vielen Millionen, die ihm der Merger einbrachte.« Und sein Chef, Steve Yokich, überraschte die Öffentlichkeit mit der Ansage: »Ich weiß nicht, ob es Chrysler noch gäbe, wenn nicht Daimler mit einem dickeren Portemonnaie, als wir es hier in Michigan haben, gekommen wäre.«
Die Deutschen hatten Angst, als Besserwessis zu gelten
Die überraschende Verteidigung Schrempps durch Yokich und die Detroiter Presse war für den Strategen der Fusion nicht unbedingt ein Segen. In der Welt der globalisierten Wirtschaft geht es nicht um Schönheitsmarken. Vor die Wahl gestellt, ein »evil German« zu sein, der die Amerikaner rücksichtslos über den Tisch zog, oder als der Dumme dazustehen, der einen maroden amerikanischen Betrieb zu teuer eingekauft hatte, hätte Schrempp den Ruf des »bösen Deutschen« wahrscheinlich vorgezogen. Kaum waren die Turbulenzen in den USA abgeklungen, wurden sie in Deutschland stärker. Immer öfter wurden Stimmen laut, die Schrempp beschuldigten, dass er die Amerikaner in Auburn Hills wursteln lasse und nicht genügend beaufsichtige. Und wie es im neidgeplagten Deutschland üblich ist, wurde auch noch der Verdacht laut, Schrempp habe den ganzen Zusammenschluss nur betrieben, um sich persönlich zu bereichern.
Den entscheidenden Punkt verpasste das deutsche Publikum ebenso wie das amerikanische: »Es gab in der Tat ein kulturelles Problem bei dieser Fusion«, sagt Manfred Gentz, der Finanzchef von DaimlerChrysler. Gerade die Angst, in den USA als die besserwisserischen Deutschen zu erscheinen, habe die Daimler-Leute gehindert, rechtzeitig bei Chrysler einzugreifen. »Wir haben uns über zwei Jahre lang gesagt, die Amerikaner müssen es besser wissen, wir greifen nicht ein.« Tatsächlich sei Chrysler ja bis zum Ausscheiden von James P. Holden im November 2000 - also noch zwei Jahre nach der Fusion - von Amerikanern geführt worden. Erst, als es im Grunde schon zu spät war, hätten Dieter Zetsche und Wolfgang Bernhard die Geschäftsführung von Chrysler übernommen.
Wenn Gentz Recht hat, wenn die Deutschen gerade deswegen, weil sie nicht dem Bild von den deutschen »Invasoren« entsprechen wollten, dem Niedergang in Auburn Hills zu lange zuschauten, dann hat dieses kulturell bedingte Zögern die Aktionäre - die deutschen wie die amerikanischen - einiges gekostet.
Eine neue Version des DaimlerChrysler-Dramas zeichnet sich ab: Die amerikanischen Ankläger der Stuttgarter hatten es sich - ganz ähnlich wie seinerzeit die Ostdeutschen - mit ihren Schuldzuweisungen zu leicht gemacht. Chryslers Abstieg hatte mit der Fusion nichts zu tun. In Wahrheit hatte das amerikanische Chrysler-Team die »Firma« in den Abgrund gefahren und ihre deutschen Partner über diesen Niedergang allzu lange Zeit im Unklaren gelassen. Und natürlich war es dann das Bequemste, für die eigene Misswirtschaft, als sie nicht mehr zu verheimlichen war, die »neue Regierung« verantwortlich zu machen.
Aber war es nicht geradezu selbstmörderisch, anstelle eines Amerikaners den Deutschen Dieter Zetsche mit der Aufgabe zu betrauen, Chrysler aus der Krise zu führen, frage ich Christoph Walther, den PR-Chef von DaimlerChrysler. »Das Prinzip war: einen für jedes Ressort, und zwar den Besten«, erwidert Walther ungerührt. Dieses Prinzip sei von Jürgen Schrempp und ihm von Anfang an in allen schriftlichen und öffentlichen Verlautbarungen deutlich gemacht worden. Hier gebe es offenbar - auch dies ein »kulturelles Problem« - ein »selektives Hören«, auf das man nicht gefasst gewesen sei. Offenbar konnte einfach nicht sein, was nicht sein durfte - dass »die Besten« im Hauptquartier der amerikanischen Ikone Chrysler nicht selbstverständlich Amerikaner waren. Dass »die Besten« dann »zufällig« Deutsche waren, hält Walther keineswegs für endgültig. »Es gab in dieser Situation keinen Amerikaner, der sich geeignet hätte.« Auf die Nachfrage, ob er sich in Zukunft auch einen amerikanischen oder japanischen Chef für den Konzern DaimlerChrysler vorstellen könne, antwortet Walther ohne Zögern: »Selbstverständlich.«
Man kann Walther diese Aussage durchaus abnehmen. Gentz, Walther und Schrempp sind Vertreter einer Generation von Deutschen, denen nationales Denken eher ein Graus als eine Verführung ist. Vielleicht gerade deswegen ist den Stuttgartern ein entscheidender Fehler unterlaufen. Gerade, weil sie es besonders richtig machen wollten - und mit dem Eingreifen zögerten - wirkte ihr spätes und hastiges Eingreifen autoritär, unelegant und »typisch deutsch«. Nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell haben sie sich verschätzt. Denn die amerikanische Öffentlichkeit hat das Versprechen eines »Zusammenschlusses von Gleichen« nicht ökonomisch, sondern kulturell interpretiert. Sie glaubte und wollte trotz des erheblichen Gewichtsunterschieds zwischen den Partnern glauben, dass Chrysler in amerikanischen Händen bliebe. Statt immer wieder auf den transitorischen Charakter des »Merger of equals« hinzuweisen, haben die Stuttgarter die entsprechende Illusion, wie Jürgen Schrempp auch noch lauthals eingestand, sogar gepflegt. Denn natürlich erleichterte diese Illusion den Zusammenschluss; womöglich wäre das Geschäft sonst nie zustande gekommen. Am Ende zeigte sich, dass die Stuttgarter zu Opfern der von ihnen geschaffenen Illusion geworden waren.
Im brandneuen Hauptquartier von Chrysler beschränkt sich der ästhetische Ehrgeiz auf Beispiele jener Kultur, die auf vier Rädern fährt. Unten, in der Eingangshalle, steht ein Exemplar des hinreißenden, wunderbar altmodischen und beschwingten PT Cruisers. Im Vergleich zu den soliden, immer etwas braven Daimler-Angeboten erscheint Chrysler als das wilde und begabte Straßenkind, das immer für eine Überraschung gut ist. Im zweiten Stock des Hauptquartiers unterhalte ich mich mit zwei führenden Mitglieder des Post Merger Integration Teams. Der eine, Kenneth R. Ference, sitzt mir leibhaftig gegenüber, der andere, Peter Fries, ist aus Stuttgart zugeschaltet. Die Verkehrssprache ist Englisch. Aufgabe dieses Teams, das im Juni 1998 die Arbeit aufnahm und sie Ende 1999 abschloss, war die Entwicklung einer gemeinsamen Unternehmenskultur.
»Was wir durch Vorbereitungsskurse wussten«, meint Ference, »war nicht eben hilfreich.« Standardformeln aus dem interkulturellen Trainingsprogramm wie »Die Amerikaner gleichen Pfirsichen - außen weich, innen hart. Die Deutschen dagegen Kokosnüssen - harte Schale, weicher Kern« hatten nicht geholfen, die Begegnung zwischen Pfirsich und Kokosnuss vorzubereiten. »Ich hatte zum Beispiel gelernt, dass ich einem deutschen Kollegen auf keinen Fall mit der Hand in der Tasche gegenübertreten dürfe«, erzählt Ference. »Ich würde sonst nicht ernst genommen. Beim ersten Treffen hatte prompt jeder zweite Deutsche die Hand in der Tasche.«
Andere Vorerwartungen oder auch Vorurteile bewährten sich aufs prächtigste. Die Deutschen schleppten dicke Aktenordner, Ausdrucke ganzer Datenbanken und auch Dias in die Besprechungen. Die Amerikaner kamen unbewaffnet und wollten sich ohne Tagesordnung unterhalten. Die Deutschen fertigten Protokolle von jeder Sitzung an, die Amerikaner beschränkten sich auf Memos. Was diesen Punkt angehe, meint Fries, hätten sich die Amerikaner triumphal durchgesetzt. Schon heute reduziere sich das Papiervolumen, das früher bei Sitzungen bei Daimler-Benz notorisch angefallen sei, auf ein Drittel.
Und dann die Sache mit den Vornamen! In Gegenwart der Amerikaner gingen die Deutschen dazu über, sich auch untereinander mit dem Vornamen anzureden und sich sogar zu duzen. Waren sie unter sich, siezten sie sich wieder, blieben aber bei den Vornamen. Nach einiger Zeit wurde ihnen das Sie, gekopppelt mit dem Vornamen, zu albern. Manche, die sich seit Jahrzehnten siezten, sagten nun plötzlich du zueinander. Die Zahl seiner deutschen Duzfreunde, meint Peter Fries, habe sich seit der Fusion verdreifacht.
Die Amerikaner die Lässigen, die Deutschen steif und auf Formalität bedacht? Richtig, aber auch wieder nicht. Für viel Gerede sorgte die beheizte und mit Teppichboden ausgelegte Garage für den vormaligen Chrysler-Chef Bob Eaton. Die Deutschen staunten auch nicht wenig, als sie mit ihren duzfreudigen Kollegen im Chrysler-Gebäude in Auburn Hills in die Kantine gingen. Dieselben Chefs, die sich nichts aus Titeln machten und ihre Jackets gern auf die Stuhllehne hängten, fanden nichts dabei, dass es mehrere hierarchisch abgestufte Kantinen gab. In Stuttgart siezte man sich zwar und redete sich mit dem Titel an, aber man speiste in derselben Kantine.
Über solche Differenzen kam man leicht mit einem Spruch hinweg. Aber es gab auch Unterschiede, die mit bloßer Neugier nicht zu bewältigen waren. Zum Beispiel die Kluft zwischen den Gehältern. Im Vergleich zu den Bezügen der amerikanischen Führungskräfte erschienen die der gleichrangigen deutschen Kollegen als Taschengelder. Die Bezüge des zehnköpfigen Vorstands von Daimler-Benz lagen im Jahr vor der Fusion bei etwa 11 Millionen Dollar. Allein der Verdienst des Chrysler-Chefs Bob Eaton überstieg das Einkommen des gesamten Daimler-Vorstandes. Er belief sich auf ein Gehalt von 6,1 Millionen Dollar plus Aktienoptionen, die seine Einkünfte auf 11,3 Millionen Dollar erhöhten. Diese Bezüge wurden noch weit übertroffen durch die Auszahlungen, die nach der Fusion durch die Ausübung der Aktienbezugsrechte fällig wurden. Bob Eaton allein soll im Zuge des Zusammenschlusses 70 Millionen Dollar verdient haben. Der Chef von Mercedes-Benz, Jürgen Schrempp, musste sich im gleichen Jahr mit etwa 2 Millionen Dollar zufrieden geben.
Wer ist in dieser Ehe der Provinzler und wer der Global Player?
Schrempp soll sich, auf diese Differenz angesprochen, lässig geäußert haben: Er lebe nicht gerade auf dem Existenzminimum. Er ahnte wohl nicht, dass er sich mit dieser Haltung, mit der er in Deutschland Liebesbriefe sogar von den Linken eingeheimst hätte, in den USA eher verdächtig machte. Mit so einem, dem es offenbar nicht zuerst um den eigenen Vorteil ging, stimmte etwas nicht; er musste andere, dunklere Motive haben. Offenbar hatte der unheimliche Deutsche etwas Höheres im Sinn als handfesten Gewinn: Ihm ging es um die Macht um der Macht willen.
Die Amerikaner die großzügigen Global Players, die Geiz und Neid nicht kennen, die Deutschen die Pfennigfuchser und konsensbesessenen Neider? Ja und auch wieder nicht. Denn in einer Hinsicht gaben die Amerikaner in der frischen Ehe mit den Deutschen die Provinzler ab. Daimler war und ist ein Weltkonzern. Viele der deutschen Manager hatten bereits in Südafrika, Asien, Lateinamerika für die Firma gearbeitet. Neben ihrer Muttersprache konnten sie Englisch und manche andere Sprache. Sie konnten es nicht fassen, dass die meisten ihrer amerikanischen Kollegen nicht einmal einen Pass besaßen, der ihnen die Reise nach Stuttgart erlaubt hätte.
Das Überraschendste an dem viel beredeten »Zusammenstoß der Kulturen« ist vielleicht, wie rasch sich viele der Differenzen und Unterschiede auflösten. Gerade weil die Vorurteile, mit denen beide Seiten in die Fusion gingen, rascher und heftiger als sonst aufeinander prallten, ließen sie sich auch rascher überwinden. »Man fragt mich immer nach den Unterschieden«,sagt Ference, »das einzig Überraschende war die Entdeckung, wie ähnlich Peter und ich sind. It was almost scary to see how alike we were.«
Als ich im 15. Stock des Chrysler-Headquarters stehe, kann ich ein Gefühl des Staunens nicht unterdrücken. Mein Gott, denke ich, ihr Bobbeles, ihr Stuttgarter, ihr habt es wirklich weit gebracht, das ist ja ein echter Coup. Im Chefzimmer dieser ehrwürdigen amerikanischen Autofirma sitzt jetzt ein Deutscher, Herr über 124 000 amerikanische Mitarbeiter. Jeden Tag kann er aus einem seiner Panoramafenster auf die gegenüberliegende Autobahn schauen und sich sagen, dass jedes sechste Auto, das dort unten vorbeifährt, aus der Firma stammt, die er regiert.
Dünn, drahtig, im weißen Hemd mit Krawatte, aber ohne Jackett - so sitzt er mir gegenüber. Vielleicht auch er ein Bergsteiger und ein Hobby-Testfahrer wie Jürgen Schrempp. Aber anders als Schrempp geht ihm der Ruf voraus, dass er eher bescheiden auftritt und zuhören kann. Auf die Frage, in welcher Sprache wir uns unterhalten sollen, sagt er: »Whatever you prefer.« Also gut, Herr Zetsche, beginne ich auf Deutsch, fangen wir mit dem Wesentlichen an: Können wir in diesem Zimmer rauchen? Der neue Chrysler-Chef antwortet mir auf Deutsch, aber mit amerikanischem Befremden: »Diese Frage hat mir hier noch niemand gestellt. Aber ich glaube, nein.«
Was für ihn, Zetsche, das Überraschendste an seinem neuen Job gewesen sei, frage ich. Wie schnell und nachhaltig sich Vorurteile auflösen ließen, erwidert Zetsche. »Die Amerikaner«, sagt er, »gucken völlig offen hin, wie einer sich verhält. Man wird nicht in eine Schublade gesteckt, weil man Deutscher ist.« Er habe keinen einzigen Fall eines Ressentiments gegen seine Person verspürt. Wichtig sei es, alle kritischen Punkte offen anzusprechen und nichts schönzureden. Am Abend vor dem Jahrestreffen der UAW am 26. März in Las Vegas sei er zu einer gewerkschaftsinternen Party gegangen. Er habe sich nicht viel dabei gedacht, nur ein Bierchen trinken und mit den Kollegen von der Gewerkschaft schnacken wollen. Viele seien zu ihnen an den Tisch gekommen. Am nächsten Tag sei dieser kleine und private Auftritt das Stadtgespräch gewesen. Noch im November 2000 hatte Gewerkschaftsboss Steve Yokich den neuen Vorsitzenden als Gewerkschaftsfeind bezeichnet. Derselbe Yokich habe sich, als Zetsche in Las Vegas seinen turn around-Plan vorstellte, wobei er die Entlassung von 26 000 Mitarbeitern zu rechtfertigen hatte, voll hinter ihn gestellt. Und dies mit einer Entschiedenheit, »dass es schon fast gespenstisch war«. So etwas sei in Deutschland undenkbar.
Zetsche kommt mit seiner Art nicht nur bei der amerikanischen Presse an, sondern auch bei den Chrysler-Mitarbeitern. Wen immer ich dort frage, antwortet mit einer Überzeugung, die fast etwas Sektenhaftes hat: »Wir werden es schaffen. Mit unserer neuen Führungsmannschaft kriegen wir es hin!« Ob sie Recht behalten, hängt vielleicht am wenigsten von den kulturellen Differenzen zwischen den Amerikanern und den Deutschen ab. Es handelt sich um ein ganz normales Business-Problem. Wenn die Fusion schief geht, wird es heißen, Daimler plus Chrysler - das konnte ja nicht gut gehen! Die Unternehmenskulturen sind einfach zu verschieden! Wenn Chrysler wieder schwarze Zahlen schreibt, wird man sagen: Es war eben doch eine Hochzeit im Himmel.
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