Das Geheimnis der chinesischen Wäscherei
出处: Die Zeit
Eine Geschichte zum Jahresende
Herr Berner war ein kleiner, redseliger Mann mit einer etwas zu dick geratenen Nase. Er lebte allein mit seinem Hund Bodo, und das war ein sehr hässlicher Hund, der aber einen guten Charakter hatte. Er war schon alt und konnte nur noch langsam an der Leine hinter Herrn Berner herlaufen, aber Herr Berner war auch nicht mehr der Jüngste und ließ sich mit den Spaziergängen und den Besorgungen Zeit, sodass ihn Bodo ohne Atemnot begleiten konnte. Während sie gingen, unterhielten sie sich. Herr Berner redete über das, was er von der Welt hielt, und Bodo hörte zu.
Herr Berner war seit einigen Jahren verwitwet. Frau Berner, mit der er sich früher so gern über die Welt unterhalten hatte, lag auf dem Zentralfriedhof, und am liebsten besuchte er sie bei strömendem Regen, denn da passte niemand auf, ob er Bodo mit ans Grab nahm. Hunde waren auf dem Zentralfriedhof nicht erlaubt. Am Grab hielt Herr Berner dann mit seiner toten Frau Zwiesprache, mal stumm, mal sprach er direkt zu ihr, je nachdem, wie viel oder wie wenig Menschen auf dem Friedhof waren.
Er kam einigermaßen mit seinem Leben allein zurecht, er konnte sich Bratkartoffeln machen, er wusste, wie man einen Salat zubereitet, und die Wohnung hielt er auch in Ordnung.
Nur mit der Wäsche hatte Herr Berner Schwierigkeiten. Es war kein Problem, die Waschmaschine einzuschalten, aber er wusste einfach nicht, was man zusammen waschen durfte und was nicht, was man schleudern musste und welche Hemden man nicht schleudern durfte. Das Bügeln war ihm gänzlich fremd. Herr Berner legte großen Wert auf ordentlich gewaschene und sorgfältig gebügelte Hemden, und es machte ihm zunehmend zu schaffen, dass er damit so gar nicht zurechtkam. An einem regnerischen Oktobertag, als er wieder einmal am Grab seiner Frau stand, sprach er von diesen Schwierigkeiten, bereute es, seiner Frau früher nicht besser bei dieser Art Arbeit zugesehen zu haben, und bat schließlich: "Elfriede, gib ein Zeichen. Was soll ich diesbezüglich tun?"
Doch alles blieb stumm, und schließlich machte sich Herr Berner mit Bodo auf den Heimweg. Bodo schielte, und seine Lefzen hingen ein wenig und ließen oft kleine Speichelfäden sehen, die sich manchmal bis zur Erde hinzogen. Schön war er wirklich nicht. Er war hässlich, aber für Herrn Berner war er der treue Bodo, und die Schönheit lag eindeutig im Charakter. "Ich bin ja auch nicht schön", dachte Herr Berner und betrachtete auch nach 76 Jahren noch erstaunt seine dicke Nase im Spiegel. "Wie soll ich es da von einem Hund verlangen. Die Natur hat eben ihre eigenen Launen."
Auf dem Heimweg nahm Herr Berner nicht den gewohnten schönen Weg an den Schrebergärten entlang, sondern er ging den kürzeren Weg quer durch kleine, dunkle Altstadtgassen, den er sonst eher mied, weil Bodo auch nicht gern auf Kopfsteinpflaster ging. Und so kam er, als hätte ihm Frau Berner doch noch ein Zeichen gegeben, an einer chinesischen Wäscherei vorbei. Über der Tür leuchteten sehr hübsche, aber für Herrn Berner unleserliche chinesische Schriftzeichen, und darunter stand in blauen Neonbuchstaben "Chinesische Wäscherei". Innen sah man Männer in weißen Kitteln oder weißen Hosen und weißen T-Shirts, die Wäsche falteten, in Papier verpackten oder an großen Maschinen Bettwäsche plätteten oder an einer Oberhemdenbügelmaschine Kunstwerke aus Oberhemden zustande brachten. Herr Berner sah fasziniert zu. Das war die Lösung. Diese chinesische Wäscherei würde ihm helfen. Warum hatte er diesen Laden nicht schon früher entdeckt! Er war seiner verstorbenen Frau sehr dankbar, dass sie ihn sanft hierhergeführt hatte, und beherzt betrat er die Wäscherei. Warme Luft schlug ihm entgegen, ein Geruch von Waschpulver, Wasserdampf und Sauberkeit, und Bodo musste niesen.
Ein freundlicher junger Chinese fragte Herrn Berner sofort nach seinen Wünschen, und Herr Berner fragte nach Terminen und Preisen und war erstaunt darüber, wie einfach und wie preiswert das alles war: "Morgens gebracht, abends gemacht" war der Slogan der Wäscherei, und die Preise schienen Herrn Berner lachhaft niedrig, gemessen an seiner eigenen Plackerei am Bügelbrett. Ganz abgesehen von den Hemden, die er sich mit seiner falschen Waschmitteldosierung oder dem regelmäßig und tückisch in der Waschmaschine versteckten schwarzen Socken schon verdorben hatte. Außerdem suchte Herr Berner stets nach kleinen Wegen und Zielen, um Spaziergänge mit Bodo machen und vielleicht ein bisschen schwatzen zu können, und diese Altstadtgasse mit einer so ordentlichen Wäscherei auf dem Weg zum Zentralfriedhof erschien ihm als großer Glücksfall. Er versuchte, dem jungen Chinesen diese Überlegungen mitzuteilen, doch er bekam immer nur ein freundliches Nicken und Lächeln, nicht jedoch eine Antwort, sodass er es schließlich aufgab, von Socken, Oberhemden und seiner Frau zu erzählen, und sich weiter auf den Heimweg machte, nicht ohne zu versichern, gleich morgen mit einem Paket Wäsche vorbeizukommen, und dann werde man ja sehen, wie man miteinander zurechtkäme, guten Abend.
Schon am nächsten Morgen verstaute Herr Berner seine schmutzige Wäsche in einer großen Plastiktüte: eine Lage Bettwäsche, vier Handtücher, Unterwäsche, fünf Oberhemden. Er hatte tüchtig zu schleppen, aber in Zukunft, wenn er öfter in die chinesische Wäscherei ginge, würden die Pakete kleiner werden, und er könnte sich alles besser einteilen.
Wieder kam der freundliche junge Chinese ganz in Weiß - oder war es ein anderer? Sie sahen sich doch alle sehr ähnlich. Vorsichtshalber kam er noch einmal ausführlich auf sein Witwerdasein und seine Schwierigkeiten mit dem Waschen und dem Bügeln zu sprechen und sagte, dass nun für alle Zeit Schluss damit sei, dank der chinesischen Wäscherei. Man nahm sein Wäschepaket in Empfang. Herr Berner sagte: "Mein Name ist Berner, B-e-r-n-e-r. Otto Berner", und er dachte sich, dass das schwierig werden könnte, denn die Chinesen waren, so viel er wusste, nicht in der Lage, ein r ordnungsgemäß auszusprechen, und vielleicht hätte er gleich, um es etwas einfacher zu machen, sagen sollen: "Mein Name ist Belnel"? Aber es gab überhaupt keine Schwierigkeiten. Der junge Chinese, dem sich das Lächeln anscheinend unauslöschlich tief ins Gesicht gegraben hatte, schrieb mit kleinen flinken Schriftzeichen schnell Herrn Berners Namen auf Chinesisch auf ein Zettelchen und heftete es an das Wäschepaket.
Herr Berner ging vergnügt mit Bodo zum Friedhof und erzählte seiner Frau von der chinesischen Wäscherei und dass nun alles gut würde.
Am nächsten Tag betrat Herr Berner die Wäscherei, um seine Sachen abzuholen. Er nahm sich vor, geduldig seinen Namen zu buchstabieren, notfalls auch zu sagen: "Mein Name ist Belnel", um dem freundlichen jungen Chinesen die Arbeit zu erleichtern.
Aber wie staunte er, als, kaum hatte er mit Bodo den Laden betreten, auch schon aus einem großen Berg verpackter Wäschepakete das seine über die Theke geschoben wurde! Man kannte ihn schon, man wusste ganz offensichtlich bereits seinen Namen, obwohl er erst seit einem Tag Kunde war! Herr Berner war hoch erfreut über diesen Beweis fernöstlicher Aufmerksamkeit und verglich sie insgeheim mit der knurrigen Art der deutschen Kassiererin in seinem Supermarkt. Hier war der Kunde noch König, das merkte er, und hier war ganz offensichtlich er, Herr Berner, ein besonders geschätzter Kunde, denn er hatte sehr wohl den raschen Blick des freundlichen Chinesen auf Bodo gesehen. Man schätzte und erkannte sie beide sofort, das freute ihn, und allzu viel Freude gab es in Herrn Berners Leben nicht mehr.
Heimlich riss er auf dem Heimweg das weiße Papier auf, um zu schauen, ob es wirklich seine Wäsche war, die man ihm da ausgehändigt hatte, aber sofort schämte er sich für sein Misstrauen, denn selbstverständlich war alles in Ordnung und, wie er sich daheim überzeugen konnte, mehr als das: in tadelloser Ordnung. Die Hemden erstklassig gebügelt und gefaltet, die Bettwäsche blütenweiß, die Handtücher weich und Kante auf Kante. So musste es sein, und das zu diesem Preis - Herr Berner war so entzückt, dass er beinahe wieder zu rauchen angefangen hätte, aber er hatte Frau Berner noch auf dem Sterbebett versprochen, davon Abstand zu nehmen, weil es die Gardinen gelb machen würde. Die chinesische Wäscherei, da war sich Herr Berner sicher, würde auch mit gelben Gardinen fertig werden, aber es wäre doch nicht recht und letztlich ja auch nicht gesund, also ließ er es und räumte vergnügt seine schöne, fast neue Wäsche in den Schrank.
Über viele Wochen ging nun Herr Berner einmal wöchentlich in die chinesische Wäscherei, brachte Verschmutztes hin und holte Sauberes ab, und immer bekam er unverzüglich, kaum dass er den Laden betreten hatte, aus der großen Anzahl der fertigen Pakete exakt das seine ausgehändigt, und nie irrte sich der Chinese, dabei war es jedes Mal ein anderer, so viel hatte Herr Berner jetzt doch schon herausgefunden. Es gab dicke und schlanke, ältere und jüngere, und sie wechselten sich ab an der Annahmetheke, an der Kasse, am Bügelautomaten, an den Bügelbrettern für Kragen und Manschetten, aber wer auch immer ihn bediente, jeder kannte ihn sofort, wusste ganz offensichtlich: aha, unser Herr Berner! Das gefiel ihm am meisten, und er fühlte sich geschätzt, geehrt und gut behandelt.
Am Tag vor Weihnachten holte Herr Berner wieder sein Wäschepaket ab, und es drängte ihn, diesen freundlichen Menschen zu danken und ihnen zu Weihnachten eine kleine Freude zu machen, obwohl der Chinese an sich ja vermutlich das christliche Weihnachtsfest nicht begehen würde. Aber sie waren freundlich mit ihm, also wollte er freundlich mit ihnen sein und hatte an eine Tüte deutschen Mandelspekulatius mit einer grünen Schleife einen Zehnmarkschein als Trinkgeld, sozusagen für die Kaffee-, nein doch wohl eher für die Teekasse, gebunden. Das reichte er dem erstaunten Chinesen, der ihm sein Wäschepaket wieder schnell und ohne eine Sekunde danach suchen zu müssen aus dem Stapel herauszog. Der gute Mann wollte das bescheidene Geschenk zunächst gar nicht annehmen, doch Herr Berner bestand darauf. "Weihnachten", sagte er, "es ist doch Weihnachten, bitte nehmen Sie das." Und dann fügte er noch, wie um sich zu bedanken, hinzu: "Ich bin sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit, und vor allem wundere ich mich darüber, dass Sie so rasch meinen Namen gelernt und behalten haben. Alle Achtung!" Der Chinese sah ihn fragend an. "Berner", sagte Herr Berner leicht irritiert, "ich bin doch Herr Berner, und Sie alle kennen mich und geben mir sofort das richtige Paket und vertun sich nie. Das gefällt mir."
"Oh," sagte der Chinese, aber es sah nicht so aus, als hätte er ihn wirklich verstanden. Er nahm das mit Stecknadel befestigte Namenszettelchen mit den feinen chinesischen Zeichen vom Paket. Herr Berner bat: "Darf ich das haben? Zur Erinnerung? Ich möchte mir zu Hause mal in Ruhe ansehen, wie mein Name auf Chinesisch geschrieben wird."
Und er dachte an seinen alten Freund Martin, der im Altersheim lebte und in seinen jungen Jahren Sinologe gewesen war. Den wollte er zum Jahreswechsel wieder einmal besuchen und ihm stolz den Zettel mit seinem, Otto Berners Namen in chinesischen Schriftzeichen präsentieren.
Der freundliche Chinese lachte glucksend, gab ihm das Zettelchen, nahm den Spekulatius, und alle, die im Raum beschäftigt waren, nickten und verbeugten und bedankten sich so herzlich, dass es Herrn Berner schon peinlich war und er es bereute, nicht 20 Mark an die Tüte gebunden zu haben. Aber er konnte sich das ja für das nächste Weihnachtsfest merken.
Am Silvestermorgen fuhr er mit dem Bus und natürlich mit Bodo ans Ende der Stadt, um seinen Freund Martin zu besuchen. Martin saß im Rollstuhl, geistig noch sehr rege, aber körperlich nach einem Treppensturz zu schwach, um allein zu gehen oder sich zu versorgen. Herr Berner erzählte von allem, was draußen in der Welt los war. Martin hörte zu, nickte vielleicht auch bei den langwierigen Erzählungen über die Erhöhung der Abfallgebühren und die Unpünktlichkeit der städtischen Straßenbahnen ein wenig ein. Dann spielten sie eine kleine Partie Karten zusammen, sahen aus dem Fenster, Bodo durfte auf Martins Wolldecke liegen, und schließlich zog Herr Berner triumphierend sein Namensschildchen aus der chinesischen Wäscherei aus der Tasche, reichte es seinem Freund und sagte: "Kannst du das noch entziffern? Du glaubst nicht, was hier steht."
Martin putzte seine Brille, nahm das Zettelchen und sah es so lange an, dass Herr Berner schon unruhig wurde und befürchtete, Martin hätte nun mit fast 80 Jahren doch verlernt, kleine chinesische Schriftzeichen zu entziffern. So lange brauchte er. Dann sah er hoch, sah Herrn Berner kummervoll an und sagte: "Woher hast du das?"
"Aus der chinesischen Wäscherei", sagte Herr Berner. "Jetzt kann ich es dir ja verraten: Es ist mein Name auf Chinesisch, Otto Berner, und sie finden ihn unter allen Paketen immer sofort heraus."
Er tippte mit Besitzerstolz auf den Zettel. "Herr Berner", sagte er, "das steht da."
"Nein", sagte Martin und reichte ihm den Zettel zurück, "das steht da nicht. Da steht: "Geschwätziger alter Mann mit dicker Nase und hässlichem Hund."
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